Das Handy, du Opfer!

Kategorien: Benjamins Texte

Smartphones, Facebook, Twitter, Skype und Co, wozu brauchen wir das überhaupt? Um es frei nach Freud zu formulieren: Natürlich ist es besser, eine Beleidigung mit viel räumlicher Distanz per WhatsApp rauszudrücken, als mit einer Streitaxt auf jemanden loszugehen. So gesehen ist das Handy eine beachtliche Kulturleistung, die uns den alltäglichen Umgang mit unseren Mitmenschen enorm vereinfachen kann.

Doch machen wir vorab einen kleinen Ausflug ins finstere Mittelalter, als es noch keine Handys gab, beziehungsweise die Mobiltelefone noch sperrige Funkgeräte waren, die nur einer erlauchten Elite von Aristokraten und Wirtschaftsbossen vorbehalten blieben, die diese Apparaturen aufgrund der schieren Größe in ihre Automobile einbauen ließen. Der gemeine Pöbel indes träumte davon der Statussymbole dieser Oberschichtler habhaft zu werden, einen schicken Sportwagen zu besitzen und in diesem eines jener Funktelefone zu haben, das heute jeder dahergelaufene Dorftrottel im Miniaturformat in der Westentasche mit sich herumträgt. Dass diese Träume meist durch das Fernsehen induziert wurden und die meisten Handys heute smarter sind als ihre Besitzer, ist eine Folge der Phantasielosigkeit und Trägheit der Masse an sich – soll uns an dieser Stelle jedoch nicht stören.

Was taten die Leute damals in ihrer Freizeit, so ganz ohne die moderne Errungenschaft der drahtlosen Telekommunikation? Eigentlich das gleiche wie heute: Sie vegetierten vor sich hin.

Ich erinnere mich noch haargenau an die Jugendlichen auf dem Schulhof. Einige Kinder tollten herum und rannten einem Ball hinterher. Eine Gruppe von Halbstarken verschwand heimlich in den Gebüschen um zu rauchen. Die meisten Mädchen steckten die Köpfe zusammen, tauschten Glanzbilder oder Sticker und gackerten, wenn ein Junge vorbei kam. Und dann gab es jene – vorwiegend junge Männer – die schweigend im Halbkreis zusammen herumstanden. Irgendwer fing dann plötzlich an auf dem Boden zu rotzen. Nach einer Weile taten die anderen es ihm gleich. Das Resultat solcher Spuckgruppen war unverkennbar: Wenn man über den Schulhof schlenderte, sah man häufig ekelerregende Anhäufungen von Spucke und Schnodder, die in kleinen Klümpchen auf dem Boden herumglibberten und darauf warteten, vom Regen weggespült oder in der Sonne zu einer glitzernden Kruste zusammengebacken zu werden.

Verlassen wir nun diesen wenig erquicklichen Ausflug in frühere Tage und wenden uns schöneren Themen zu. Der Mensch braucht schließlich eine anregende Umwelt. Dadurch bekommt er eine dichtere Hirnrinde. Das wurde zumindest in Versuchen mit Ratten nachgewiesen, doch ich bezweifle nicht, dass es auch auf den Menschen übertragbar ist. Wiewohl ich zugeben muss, dass für den Menschen sicherlich nicht zwangsläufig ein Laufrad oder gar ein Labyrinth angeschafft werden muss, sondern auch ein bewegendes Buch oder ein angenehmer Gesprächspartner sehr gute Dienste leisten kann. Wichtig ist lediglich, dass uns diese Umwelt anregt. Vielfach wird davor gewarnt, dass das Fernsehen oder die exzessive Nutzung von Computerspielen einer Steigerung des Intellekts abträglich sei. Es gibt zwar durchaus herausfordernde Sendungen und knifflige Rechenspiele, wer jedoch regelmäßig ein Mobile bastelt und einem kleinen Schwatz mit einem halben dutzend Philosophieprofessoren nicht aus dem Weg geht, wird unlängst mehr mit seinem Gehirn anfangen können.

Eine kleine Beobachtung, die ich hierzu gemacht habe, möchte ich an dieser Stelle nicht verschweigen. Wenn der eigene Bekanntenkreis nicht nur aus Intellektuellen besteht, sondern man sich durch verwandtschaftliche Beziehungen oder unglückliche Umstände plötzlich genötigt sieht, mit eher einfachen Gemütern zu konversieren, dann wird man einen starken Unterschied im Gebrauch der sogenannten Smartphones feststellen. Umso gebildeter der Nutzer, desto mehr Abstand hält er zu dem Gerät, während der Prolet, dem pawlowschen Hund gleich, dem der Sabber ins Maul steigt sobald er den Essensgong hört, um sich dann mit wilder Manier auf die Mahlzeit zu stürzen, keine Vorbehalte kennt sogleich jede Unterhaltung abzubrechen, wenn das Geräusch einer eingehenden Nachricht an sein Ohr dringt. Dass ein realer Gesprächspartner sich vielleicht gekränkt fühlen könnte, derartig geschnitten zu werden, ist dem unreflektierten Handynutzer völlig fremd. Wie die antiken Kyniker achtet er stets darauf, seine eigenen Bedürfnisse so schnell wie möglich zu befriedigen. Seine Umwelt spielt dabei stets eine untergeordnete Rolle. Wie man sich auf einer Party fühlt, auf der man nur von Leuten umgeben ist, die, anstatt zu tanzen oder miteinander zu plaudern, wie wild auf dem Touchscreen ihres Handys herumtippen oder Fotos von den Spirituosen machen, um sie dann an andere Proletarier zu versenden, darf man sich gerne ausmalen.

Das hat nicht nur Nachteile. Die Schulhöfe sind jetzt wenigstes sauber. Die Spuckgruppen stehen zwar immer noch herum, sie spucken jedoch nicht mehr. Stattdessen hält jeder ein Mobiltelefon in der Hand und verschickt still Nachrichten, die keiner hören will. Als ich einmal an meinem alten Schulhof vorüberlief, sah plötzlich einer der Jungen, die dort herumlungerten, auf. „Das Handy, du Opfer!“, ertönte es an einen der anderen gewannt. Dann schwiegen wieder alle und machten weiter an ihren Smartphones rum. Dass zu einem richtigen Satz mindestens ein Verb gehört, ist wahrscheinlich irgendwann in der frühen Neuzeit abgeschafft worden. Dass Maschinen dazu da sind, dem Menschen zu dienen und nicht umgekehrt, wissen wahrscheinlich nur noch einige wenige Nerds. Und überhaupt, nur weil es technisch möglich ist, muss ich ja nicht alles umsetzen. Es hackt sich ja auch keiner die Beine ab, weil irgendwann jemand den Rollstuhl erfunden hat. Beim Handykonsum interessiert diese einfache Regel offenbar niemanden. Selbst wenn die Hirnrinde droht aufgrund der ganzen Zweiwortsätze und Smileys irgendwann die Konsistenz aufzuweisen wie ein Doppelzentner Wackelpeter. Die Kanzlerin hat ein neues Blackberry – ich auch. Brat Pitt und Angelina Jolie benutzen i-Phones – ich gehöre dazu. Nie waren wir näher daran so zu sein wie unsere Vorbilder, die Reichen und Mächtigen. Nie waren wir weiter davon entfernt darüber nachzudenken, ob wir überhaupt so sein wollen.

Doch braucht man sich nicht den Kopf zerbrechen. Stattdessen kann man weiter mit stolz geschwellter Brust wie ein Modell auf dem Laufsteg durchs Leben trippeln und sein tolles Marken-Handy vor sich her tragen. Denn: Auch wenn das Ding mittlerweile klüger ist, als die meisten Nutzer: Alleine laufen kann es ja zum Glück noch nicht.

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