Briefe an Beuys | Fett
Lieber Joseph,
Du hattest mal kühn behauptet, dass jeder Mensch ein Künstler sei. Mit diesen Worten im Hinterkopf wirkt meine verdreckte Küche bei jedem Betreten wie eine realitätsnahe Installation, die auf der nächsten Documenta ihren triefenden Stammplatz finden könnte. Ich nenne sie selbstbewusst „Fettraum“, wobei das natürlich mehr als offensichtlich auf Deinem Mist gewachsen ist. Wer hätte gedacht, dass jeder mehr oder weniger gewollte Fettspritzer einem Pinselstrich gleichkommt.
Ich sehe sie schon vor mir. Die unzähligen Ausstellungsbesucher, wie sie eng geschart meine grotesk schmuddelige Spüle bestaunen und Dinge sagen wie „Ich habe gehört, der Künstler verwendete höchst seltene Schimmelpilze aus Sri Lanka. Nur so entsteht dieser wahnwitze Effekt samt des Kloakenaromas!“
Themenwechsel. Gestern auf der Flucht via S-Bahn hörte ich folgenden Klassiker. „Deine Mutter ist so fett, dass die Waage beim Wiegen ‚Fortsetzung folgt‘ anzeigt“. Hättest Du jemals gedacht, dass Dein Lieblingsmaterial Fett irgendwann im gängigen Jugendslang Verwendung findet? Dass sie mittlerweile statt „affentittengeil“ lieber „fett“ rufen? Und wenn Ja, hättest Du dann ein anderes Material genutzt?
Butter kannst Du Dir direkt abschmieren. Die Redewendung „Alles in Butter“ ist bereits zu sehr in aller Munde. Muss es überhaupt so schmierig sein wie meine Küche? Muss Kunst triefen und Flecken hinterlassen?
Bestimmt. Denn was für den einen bloß einen Fleck darstellt, ist für den anderen Kunst. Joseph, Du hättest mich vor zwei Wochen erleben sollen. Da stieß ich versehentlich gegen das voll mit Bier- und Biermixgläsern bepackte Tablett des nahenden und überforderten Kellners. Flecken ohne Ende! Mein bestes Werk bis dato.
Mit triefenden Grüßen
Oliver
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